
Zwei Monate. Zwei Monate für ein Land, das neun mal grösser ist als Deutschland. Zwei Monate für ein Land, das von Nord nach Süd wahrscheinlich genauso viele (wenn nicht mehr) kulturelle Unterschiede zu bieten hat, wie ganz Europa. Bereits bei meiner Ankunft in Bangalore war mir klar: diese zwei Monate reichen im Leben nicht aus.
Zwei Tage Zeit hatte ich in der Millionen Metropole Bangalore (Die Stadt mit 8,5 Millionen Einwohnern ist das IT-Zentrum Indiens. Gleichzeitig finden sich in den Seitenstraßen fernab des Stadtzentrums traditionelle Lebensstrukturen mit fliegenden Händlern, Streetfood und zahlreichen kleinen Tempeln, die alle möglichen Gottheiten huldigen.), um einen ersten Eindruck von Land und Leuten zu gewinnen. Eines fiel gleich auf: Kühe sind in Indien wirklich heilig. Egal wie breit die Straße. Egal wie dicht der Verkehr. Egal wie eilig die Angelegenheit. Kühe haben Vorfahrt. Immer. Gemühtlich käuend stehen oder liegen sie am Straßenrand, beobachten den Verkehr. Autos, Fußgänger, Radfahrer, Rikschas – alles passiert irgendwie um die Kühe herum.
Nach meinem ersten Tag Indien hatte ich Kopfschmerzen. Es war laut. Es war bunt. Es war chaotisch. Und doch fühlte ich mich von Anfang an wie Zuhause, als wäre ich nie zuvor an einem anderen Ort gewesen.
Auf den Spuren der alten Inder: Yoga in Mysore
Mit dem Bus fuhr ich nach der kurzen Eingewöhnung in Bangalore in Richtung Mysore – eine der Yogahauptstädte im Süden des Landes. Mysore ist bekannt für seine Öle und Parfüme, Sandelholz, Räucherstäbchen und (Ashtanga)Yoga (ashtanga heißt soviel wie acht und bezieht sich auf den Pfad, den Patanjali, einer der geistigen Väter des Yoga, in seinen Schriften beschreibt).
Etwa eine Stunde süd-westlich von Mysore, umgeben von Farmland und kleinen Dörfern war ich schließlich am Ziel meiner ersten Reiseetappe in Indien: Für den kommenden Monat wollte ich im AyurYogaEco Ashram die Grundlagen im Hatha Yoga lernen (Hatha Yoga ist die jahrhunderte alte ‚Grundlage‘ aller Yogaarten. Es besteht aus Atemübungen, Asanas und Entspannung/Meditation). Schon lange begleitet mich Yoga durch mein Leben – mal mehr und mal weniger.
Ashramalltag
Das Leben im Ashram (im weitesten Sinne ist ein Ashram ein klosterähnliches Mditationszentrum) ist strukturiert. Die Tage laufen nach einem immer wiederkehrenden Muster. Und doch ist keiner von ihnen wie der vorhergehende. In den täglichen Yogastunden (jeweils zwei Stunden am Morgen und späten Nachmittag) zeigten Vinod und Sanjay ihr Können – mit Feingefühl und Erfahrung schickten sie jeden Einzelnen von uns auf eine Reise zum inneren Selbst. Sie zeigten uns, was Yoga bewirken kann, wenn wir es zulassen.
Fühlten sich die ersten zwei Wochen noch an wie Monate, vergingen die verbliebenen vierzehn Tage wie im Flug. Und ehe ich mich versah, hatte ich eine wahre Achterbahn der Gefühle hinter mir, zwei volle Yogastunden a 90 Minuten unterrichtet und eine Menge neuer Freunde gewonnen.
Mysore
Mit Nathalie und Nicolas, mit denen ich geimeinsam den letzten Monat im Ashram verbracht hatte, erkundete ich für zwei Tage Mysore. Die Gerüche der Räucherstäbchen und Öle auf dem alten Markt waren unbeschreiblich. Das geordnete Chaos in den engen Gassen ließ uns Raum und Zeit vergessen. Am Abend kehrten wir unweit von unserem Hostel in einem kleinen Restaurant mit gerade einmal 20 Sitzplätzen ein (20 auch nur dann, wenn alle eng zusammenrückten). Serviert wurden Masala Dosa – ein mit pürierten Erbsen gefüllter Pancake – und Kokos-Chutney. Alles für je 20 Rupien. Jeder von uns aß drei.
Während Nathalie und Nicolas weiter zogen, konnte ich mich noch nicht vom Zauber Mysores lösen – der alte Markt, die Menschen und das gute Essen waren zu gut, um sie so schnell gegen etwas Neues einzutauschen. Und so ließ ich mich noch ein bisschen treiben, ließ die vergangenen Wochen im Ashram auf mich wirken.
Kerala
Nach einer aufregenden und holprigen Busfahrt (Indiens Straßen und Busfahrer sind nichts für zarte Gemüter) kam ich in Fort Kochi an, einer Fischer- und Handelsstadt im Bundesstaat Kerala. Einst siedelten hier die Portugiesen und prägten mit ihrer Architektur und Kultur das Erscheinungsbild der Gegend. Noch heute finden sich hier neben den traditionellen Hindu Tempeln zahlreiche Kirchen und katholische Gemeinden.
Im Vergleich zu Bangalore und Mysore ist das Leben in Fort Kochi sehr viel langsamer und ruhiger, und traditioneller. Frauen in Saris und Männer in Lungi (eine Art Sarong, der fest um die Hüfte gewickelt wird) gehören hier ganz selbstverständlich zum Straßenbild, genau wie die eingangs erwähnte Kuh. Ich verbrachte meine Tage mit Yoga (gibt es in Indien sprichwörtlich an jeder Ecke), gutem Essen und entlang der Handelsstraße, die damals wie heute für den Export von Gewürzen bekannt ist.
Meine Reise führte mich schließlich weiter Richtung Süden. In Marari Beach verbrachte ich einige wunderbare Tage in einem Homestay mit einer zauberhaften Familie, in Alleppy erkundete ich die Backwaters und in Varkala schaute ich Delphinen beim Spielen und Fischen im Ozean zu.
Ashram die Zweite
Fasziniert vom Ashramleben entschied ich mich kurzerhand, erneut einige Tage mit der Yoga-Familie zu verbringen. In Neyar Damm fand ich das Sivananda Ashram, das ganz ähnlich wie auch mein erstes Ashram funktioniert und lehrt. Es gefiel mir. Zeit mit Gleichgesinnten zu verbringen und meine Kenntnisse zu erweitern, erschien mir interessanter, als im Eiltempo die Sehenswürdigkeiten (Süd)Indiens abzuklappern. Aus einigen Tagen wurden zwei Wochen. Zwei Wochen, in denen ich erneut viel über das Zusammenleben und Miteinander mit anderen Menschen lernte. Zwei Wochen, in denen ich neue Perspektiven über das Leben kennenlernen durfte. Zwei Wochen, in denen ich wunderbare Freundschaften schloss.