
863 Kilometer, zwei Tage Autofahrt mit maximal 100km/h und dann das: Mein Café entpuppt sich als lupenreine Imbisbude, eine ziemlich schlechte Imbisbude. Der Fettgeruch, der bereits draußen vor der Tür sehr intensiv und im Inneren noch hundertmal schlimmer war, der an sich herzensgute Besitzer Jack und die 90er Jahre Einrichtung: Wie ich es auch drehte und wendete – ich sah mich einfach nicht als Teil dieser Gesamtkomposition. Ernüchtert und enttäuscht machte ich mich auf den Weg zum Campingplatz.
Hier traf ich auf Isabell – Frohnatur aus Rostock. Es dauerte nicht lange und sie erzählte mir, dass sie für den Shop ihres Orchards (eigentlich nichts anderes als eine riesen Obstplantage, in diesem Fall Steinobst) noch Verstärkung suchen. Ein erster Hoffnungsschimmer macht sich breit. Aus der Zitrone vom Vortag könnte doch noch eine ganz schmackhafte Limonade werden. Am nächsten Morgen machte ich mich deshalb um Punkt halb zehn auf den Weg zum Vorstellungsgespräch, das eher ein netter Plausch über das Leben mit Besitzer Stephen war – am kommenden Montag könnte ich im Laden des Fairview Orchards anfangen.
Bis dahin vertrieb ich mir die Zeit lesend auf dem Campingplatz, badete im nahegelegenen See und meldete mich in der örtlichen Bibliothek an. Das dauerte keine zehn Minuten, war gewohnt unkompliziert und kostenfrei. Und das Angebot an Kochbüchern in den Regalen ist für die doch sehr abgeschiedene Gegend gar nicht mal so schlecht. Zwischenzeitlich fand sogar mein britischer Freund Stuart seinen Weg ins beschauliche Roxburgh. Bei gutem Essen, selbstgebackenem Pflaumenkuchen und einem Glas Bier brachten wir uns gegenseitig auf den neusten Stand unserer Reise.
Und dann war es soweit: Nach beinahe zehn Monaten ohne Arbeit fing ich am darauf folgenden Montag an, Obst, Gemüse und Eis unter die Leute zu bringen. Amanda, Brasilianerin mit deutschem Pass, die von der Heimat ihres Großvaters allerdings höchstens ein paar alte Rezepte kennt, zeigte mir, wie die Kasse funktioniert, wie man Pfirsiche hübsch in quadratische Pappschachteln packt und Vanilleeis samt gefrorener Früchte mittels Maschine zusammenmischt.
Die neun, zehn Stunden Arbeit vergingen wie im Flug, auch an den kommenden Tagen und Wochen. Am ereignisreichsten sind immer die Sonntage: Vor dem Start in die neue Woche zieht es die Leute in Strömen in den Laden. Eis, Obst, Gemüse und Trockenfrüchte gehen dann im Sekundentakt über die Ladentheke. Wie oft ich inzwischen die Frage nach meinem „lovely“ Akzent beantwortet habe, kann ich garnicht mehr zählen. Gerade an den Wochenenden bleibt für einen Plausch mit den Kunden wenig Zeit. Eilig rennt man von a nach b, füllt die Regale auf, achtet darauf, dass kein faules Obst in den Kisten liegt oder ist eben stundenlang an der Eismaschine beschäftigt. Doch unter der Woche, wenn es weit weniger hektisch zugeht, nehme ich mir gerne die Zeit, um Geschichten von früher zu lauschen oder über Berlin und Europa zu reden. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Unterhaltung mit einer älteren Dame, die bis über beide Ohren strahlte, als sie hörte, wo ich herkomme. Schnell wechselte sie vom Englischen ins Deutsche, erzählte von ihrer Zeit im ehemaligen Jugoslawien, den Jahren in der Schweiz und den Monaten in München. Leider gibt es am Tag nicht nur die eine Kundin – das Geschäft steht nicht still. Bald darauf verabschiedeten wir uns deshalb. Sie versprach, ganz bald wieder vorbeizuschauen.